Anthropologie der Kunst II: FAKE / FAKT
Vorlesung / 2 S St VO, SoSe 2018
Dr. phil. Lona Gaikis, Institut für Kunst- und Kulturwissenschaft (IKW). Wahlpflichtfach. Deutsch. Blockveranstaltung, 5 Termine á 5h
INHALT
Das Spiel mit dem Schein ist seit jeher ein Charakterzug des Menschen und in manchen Fällen begründet sich „die Wahrheit“ als geschicktere rhetorische Inszenierung oder Darstellung von Fakten. Das ist ein grundsätzliches Problem der Wissenschaft und aktuell das Geschäft von Populisten, die diese Wahrheit für sich reklamieren. Während die ernste Wissenschaft sagen würde: „Mit den verfügbaren Methoden sind wir aktuell zu XYZ Ergebnis gekommen“, – Aussagen mit implizit wissenschaftlichem Zweifel – übertönen fadenscheinige Sprecher*innen dieses Bestreben nach Erkenntnis mit dem Wahrheitsanspruch „alternativer“ Fakten. Es scheint fast so, als verknüpfe sich gerade die Lüge mit dem absoluten Anspruch auf Wahrheit – so suggeriert es jedenfalls ihre Rhetorik.
FAKE und FAKT sind nicht erst seit dem Auftauchen des Begriffs „postfaktisch“ im Focus öffentlicher Debatte. Seit Beginn der Philosophie stellt sich dem Menschen diese Frage nach „Wahrheit“ und „Schein“ in der Welt.
Der „Kunst“ – so man generalisieren möchte – könnte diese Auseinandersetzung mehr oder weniger egal sein, denn für sie können Schein und raffinierte Illusionstechniken ein wichtiges Werkzeug darstellen. Eine gut platzierte Legende oder Trickspielerei ist unter Künstler*innen keine Seltenheit; Verschleierungstaktiken und Täuschungsmanöver haben subversives Potential. Nachdem Traum und Vision der Moderne zugeschrieben werden und die Vorstellung von Hyperrealität etwas „postmodernes“ ist, fragen wir uns zwischen Deepfake und Tansparency: Wie steht es heute um die Illusion als Kompetenz?
Die Ideengeschichte durchzieht genau an dieser Frage ein Riss, der mit der Weiterentwicklung künstlerisch-wissenschaftlicher Methoden sowie einer „neuen“ Disziplin der künstlerischen Forschung gerade ins Visier von Kritiker*innen gerät.
Die Auseinandersetzung mit FAKE und FAKT hat politische, epistemologische und künstlerische Implikationen. Ein traditionell-konservatives Lager an Universitäten führt seit geraumer Zeit den Begriff der „Fake Subjects“ ins Feld. Auch Denker*innen der analytischen Philosophie stehen der Spekulation eher skeptisch gegenüber. Man wittert, mit dem Erbe der 1968er, eine Infiltration der Wissenschaften, Philosophie und Kunst mit „Pseudo-Theorie“.
Hat die Inszenierung zu sehr Einzug in die Wissenschaften gehalten oder konkurriert die künstlerische Forschung mit der Wissenschaft? Kann Erkenntnis auf einem Blendwerk beruhen – einem Knalleffekt – und gleichzeitig Wahrheitsanspruch haben? Blitz ist Blitz und dem spätkapitalistischen Geist konnte zwischen TV-Spot, Coca Cola und Microwave-Dinner durchaus auf die Sprünge geholfen werden.
Unter welchen Vorzeichen muss man für Fake, Fiktion und Vision im Sinne der Erkenntnis argumentieren?
LITERATURLISTE:
Baudrillard, Jean, Why Hasn’t Everything Already Disappeared?, 2. Edition 2011 (Calcutta: Seagull Books, 2009)
Baudrillard, Jean, Simulacra and Simulation (Simulacres et Simulation. Éditions Galilée, Paris 1981), Übersetzung Sheila Faria Glaser (Michigan: University of Michigan Press, 1994)
Baudrillard, Jean, ‘The Implosion of Meaning in Media’, in Simulacra and Simulation
Baudrillard, Jean, ‘Simulacrum and Science Fiction’, in Simulacra and Simulation
Langer, Susanne K., ‘Semblance’, in Feeling and Form. A Theory of Art Developed from Philosophy in a New Key (New York: Charles Scribner`s Sons, 1953), pp. 45–68
Massumi, Brian, Parables for the Virtual: Moment, Affect, Sensation (Durham; London: Duke University Press, 2002)
Massumi, Brian, ‘The Bleed: Where Body Meets Image’, in Parables for the Virtual: Moment, Affect, Sensation (Durham; London: Duke University Press, 2002), pp. 46–67
Nietzsche, Friedrich, Über das Pathos der Wahrheit. Über Wahrheit und Lüge im Außermoralischen Sinne (Leipzig: Richard Hadl, 1924)
Nietzsche, Friedrich, ‘Über Das Pathos Der Wahrheit (1924)’, in Sämtliche Werke (Leipzig: Richard Hadl, 1999), pp. 309–22
Shaviro, Steven, Discognition (London: Repeater, 2016). Besonders: ‘Thinking Like a Computer’, pp. 45–70; ‘Thinking Like a Human Being’, pp. 103–34
v. Samsonow, Elisabeth, ‘Similitudo – Simulacrum – Simulatio. die Transformation des Wahrheitsbegriffes in der Renaissance’ (Wien: akademie der bildenden künste (IKW), 2002)
Whitehead, Alfred N., Symbolism. It`s Meaning and Effect (1927), 3. Edition (New York: Fordham University Press 1985). Dt. Übersetzung: Whitehead, Alfred N., Kulturelle Symbolisierung, übersetzt von Rolf Lachmann (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2000)
Wittgenstein, Ludwig, Über Gewißheit (1951) (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1970)
KUNSTBETRACHTUNG (BEISPIELE): Zentrum für Politische Schönheit, Deine Stehle (2017); The Present in Drag. 9th Berlin Biennale (KW Berlin 2016); Vaporwave (Ambivalenz digitaler Kulturen); Marcel Broodthaers, véritablement (1968); Hanakam & Schuller, Trickster (2016); ZVA (Zentrale Versuchsanstalt), playback (2017) u.a.
FILME: F for Fake (Orson Welles 1973); Blade Runner (Ridley Scott 1982); Blade Runner 2049 (Denis Villeneuve 2017)
ERWARTETE KENNTNISSE DER TEILNEHMER*INNEN: Textverständnis in Englisch und Deutsch
ZIELE: Vermittlung und kritische Reflektion ästhetischer Theorie; Philosophiegeschichte und ihre kritische Reflexion; Medienkritik; Anregungen in der Argumentation für künstlerische (künstlerisch-wissenschaftliche) Forschung
UNTERRICHTS SPRACHE: Deutsch. Es werden Texte in englischer Sprache gelesen
LEHR UND LERNMETHODEN: Vortrag und Diskussion, Gemeinsame Lektüre und Kunstbetrachtung, Referate, Filme, ggf. Gastvorträge