KISLING

don’t pressure me (2018)

Audioperformance: 10 min. Drum Machine (Korg Electribe 2), SP404 Sampler, digitaler Synthesizer, Software, Stimme

KISLINGs Sound ist bi-polar. Zwischen Euphoria Core und Anti-Pop changierend, reflektiert die Künstlerin die emotionale Zerrissenheit heutiger Subjektivität. Im Dispositiv erodierender Fixpunkte – sowohl gesellschaftlicher und historischer, als auch ökologischer und ökonomischer Natur – verlagert sich ihr Spielraum auf den Musik- und Clubkontext als Ort der Transgression und gesellschaftlicher Neuverhandlung. Im Flux von Emotion und Information, wird Feeling (Empfindung) zum wesentlichen Werkzeug einer kollektiven ästhetischen Erfahrung, weil es die Grenzen zwischen Sinn und Bedeutung, zwischen eigenem künstlerischen Ich und dem Gegenüber im Publikum, in einen Raum aktiver Imagination versetzt – einen Raum, den KISLING durch Sound erreicht.

KISLINGs Musik ist artifiziell. Nicht nur wegen ihres Set-ups (digitaler Synthesizer, Drum Machine, Sampler). Der Ursprung ihrer Tunes selbst ist fake. Aufzeichnet aus den eingängigen Voreinstellungen (Presets) User-freundlicher Musik Software und Equipment bedient sie sich bereits gestaltetem Sound, der einem massentauglichen Geschmack entspricht und Konnotationen zu Genre, Stil und Stimmungen hat. Es sind Field Recordings des unendlichen digitalen Archivs und seiner Tool-Boxes. Durch Bearbeitung und Verfremdung dieses Materials erzeugt sie eine Abstraktion der Abstraktion, die den mechanischen Noise und Industrial Elementen wieder eine Körperlichkeit verleiht. Die techno-ästhetische Reflektion der Apps und Apparate deckt sich konzeptuell in der Auswahl ihres virtuellen Materials.

Unkritisch bleibt KISLINGs Kommentar an den Erzeugnissen der unendlich spiegelnden Computerschleifen aber nicht. Mit ironischen und absurden Samples der Trivia-Kulturen von Youtube, Google, Facebook und Co. versetzt, zeigen ihre Kompositionen die Banalität von Bedeutung in der post-digitalen Welt auf. Sie befasst sich mit der Frage, wo Bedeutung überhaupt anfängt? Wie stark lassen sich klangliche Bruchstücke beschneiden, um gerade noch eine Gefühlsregung zu übertragen? Wo verläuft, wenn überhaupt, die Grenze zwischen Klang und Geräusch?

Genau in dieser Frage manipuliert KISLING die Sinne. Immer wieder unterbricht sie aufbauende Narrative, löst das Versprechen affektvoller Momente nicht ein. Sie reizt das Material musikalischer Form aus, um ein Gefühl der Überreizung durch pure Reduktion zu vermitteln. Dieser barocke Überschwung gibt einen manischen Stilmix wider, in dem sich Noch-Nicht-Definiertes mit sinnvollen Inhalten vermischt und sich wiederum im Rausch und den Beats auflöst. So verschwindet oder verschmilzt die Subjektivität in den Frequenzen, artikuliert sich die ästhetische Erfahrung in Sinnlichkeit gerichtete Form.

Text: Lona Gaikis, 2019