SEMNINAR: Träume / Halluzinationen / Missverständnisse

Google: Deep Dream [GitHub], 2015. Entwickler: Alexander Mordvintsev. Ein neuronales Netzwerk im Frühstadium. Zu Forschungszwecken wird die KI dazu gebracht, Bilder anhand von ihr angewandten Mustern zu interpretieren.

Macht Euch verwandt!

Vom Träumen, Halluzinieren und Missverstehen in Mensch, Tier und Technik.

LEKTÜRESEMINAR – SE 360.026
Wintersemester 2023/24
Kunstuniversität Linz, Institut Medientheorien

Selbst in einer Gesellschaft von recovering Techno-Utopians ist die Digitalität nach wie vor eine der wichtigsten Faktoren künftiger Wissensproduktion. Durch die möglich gewordene Nachahmung neuronaler Netzwerke treten neue Agent*innen des Nichtmenschlichen auf die Bildfläche. Sie werfen Fragen bezüglich möglicher Verwandtschaften zwischen künstlichen und organischen Systemen auf. Was heißt es, sich in dieser Phase großer Veränderungen (ökologisch, ökonomisch und nicht zuletzt gesellschaftlich), mit einer KI verwandt zu machen? Was ist der Unterschied zwischen Intelligenz in nichtmenschlichen Organismen und dem Intellekt des menschlichen Geistes? Gerade die Künste bieten sich an, die Bandbreite menschlicher Empfindung und Wahrnehmung im Zeitalter artifizieller Welten-Generierung näher zu reflektieren und Grenzbereiche zwischen lebendigem und nicht-lebendigem, Virtualität und Realität auszuloten.

In diesem Lektüreseminar beziehen wir mögliche Verwandtschaften zum „Nonhuman“ nicht ausschließlich auf Donna Haraways making kin, sondern auf weitere prozessphilosophisch orientierte Autor*innen. Die Vorstellung, sich nicht dominierend über die Natur zu stellen, sondern als menschliches Individuum und Kollektiv eingebettet in die Matrizen lebendiger Formen zu begreifen, vertiefen wir mit der transatlantische Denkerin Susanne K. Langer, die eine „Re-Naturalisierung“ des Geistes vorantrieb. Wir folgen ihrem Ursprung in Ernst Cassirer und Alfred N. Whitehead und nehmen die Grenzbereiche von Natur, Kunst und Technik ins Visier. An einer Stelle führt Langer, z. B., die besondere Fähigkeit des Faultiers an, REM-Phasen ähnliche Traumsequenzen zu durchleben wie der Mensch und damit eine vielleicht größere kognitive Nähe zu uns zu besitzen – KI halluziniert doch auch?

Der techno-kulturelle Diskurs wird mit indigenen (First Nations) Philosoph* und Medientheoretiker*innen, wie Ailton Krenak, Jason Edward Lewis, Archer Pechawis oder Enrique Salmón aktualisiert, die ganz eigene Herangehensweisen an die Beziehung von Mensch und Umwelt, Geist und Technologie haben.

Literatur

Bonaldo und Barbosa Pereira. “Potential History: Reading Artificial Intelligence from Indigenous Knowledges,” History and Theory Band 62, Nr. 1 (26. Februar 2023): 3–29. https://doi.org/10.1111/hith.12290.

Burkhart, Brian. Indigenizing Philosophy through the Land: A Trickster Methodology for Decolonizing Environmental Ethics and Indigenous Futures. East Lansing: Michigan State University Press, 2019.

Cassirer, Ernst. Philosophie der symbolischen Formen: Zweiter Teil: Das mythische Denken. Hamburg: Meiner Verlag, 2010. Besonders: „Dritter Abschnitt: Der Mythos als Lebensform,“ 181-204.

Escobar, Arturo. Designs for the Pluriverse: Radical Interdependence, Autonomy, and the Making of Worlds. Duke University Press, 2017. https://www.jstor.org/stable/j.ctv11smgs6.

Gaikis, Lona, Hg. The Bloomsbury Handbook of Susanne K. Langer. London: Bloomsbury Academic, 2024.

Massumi, Brian. „From Aesthetic Frights to the Politics of Unspeakable Thought with Susanne K. Langer.“ In The Bloomsbury Handbook of Susanne K. Langer, 209–22.

Priest, Eldritch. „Thinking Non/Humanly with Susanne K. Langer.“ In The Bloomsbury Handbook of Susanne K. Langer, 201–8.

Gaskill, Nicholas, und A. Nocek, Hgs. The Lure of Whitehead. Minneapolis, MN: University of Minnesota Press, 2014.

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Meyer, Steven. „Of ‘Experiential Togetherness’: Towards a More Robust Empiricism.“ In The Lure of Whitehead, 332–59.

Gold, Matthew K., und Lauren F. Klein, Hgs. Debates in the Digital Humanities 2023. Minneapolis, MN: University of Minnesota Press, 2023. https://www.jstor.org/stable/10.5749/j.ctv345pd4p.

Lee Brown, Michelle, Hēmi Whaanga, and Jason Edward Lewis. „Relation-Oriented AI: Why Indigenous Protocols Matter for the Digital Humanities.“ In Debates in the Digital Humanities 2023, 74–83.

Haraway, Donna J. Unruhig Bleiben: Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän [Orig.: Staying with the Trouble: Making Kin in the Chthulucene, Duke: 2016]. Translated by Karin Harrasser. Frankfurt a. M.: Campus Verlag, 2018.

[Kant, Immanuel. Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik. Hamburg: Meiner, [1766] 2023.]

Krenak, Ailton. Life is Not Useful. Translated by Alex Brostoff and Jamille Pinheiro Dias. Cambridge UK: Polity Press, 2023.

Langer, Susanne K. „Symbols and the Evolution of Mind.“ In Mind: An Essay on Human Feeling. Volume II (1972), 265–316. Baltimore: Johns Hopkins Press, 1978.

Langer, Susanne K. „The Process of Feeling.“ In Philosophical Sketches, 11–29. Baltimore: Johns Hopkins Press, 1962.

Lewis, Jason Edward, Noelani Arista, Archer Pechawis, und Suzanne Kite. „Making Kin with the Machines.“ Journal of Design and Science, Juli 16, 2018. https://doi.org/10.21428/bfafd97b.

Muraca, Barbara. „Relational Values: A Whiteheadian Alternative for Environmental Philosophy and Global Environmental Justice.Balkan Journal of Philosophy 8, no. 1 (August 8, 2016): 19–38. https://doi.org/10.5840/bjp2016813.

Salmón, Enrique. “Kincentric Ecology: Indigenous Perceptions of the Human-Nature Relationship.” Ecological Applications 10, no. 5 (2000): 1327–32. https://doi.org/10.2307/2641288

Whitehead, Alfred N. “Theories of the Bifurcation of Nature.” In The Concept of Nature. 26–48. Ann Arbor, USA: University of Michigan Press, [1920] 1959.